Die Minen von Moria

MoriaMoria. Du fürchtest dich vor diesen Minen. Die Zwerge haben zu gierig und zu tief geschürft. Du weißt, was sie aufgeweckt haben in der Dunkelheit …“ (aus: „Herr der Ringe“ J. R. R. Tolkien)

Auf philosophischem Gebiet sind die Minen von Moria der Radikalskeptizismus im Sinne eines absoluten Nihilismus. Moria bedeutet so viel wie „Abgrund“.
  
Der Radikalskeptizismus greift einfach alles an. Er kennt nichts Sicheres, keinen sicheren Beweis. Leg einen Stein vor Dich auf den Tisch und beweis, dass dies ein Stein ist. Du kannst ihn dem radikalen Skeptizisten an den Schädel schlagen, er wird umso mehr bestreiten, dass Du überhaupt sicher weist, dass Du existierst, ob Deine Gedanken nicht nur ein Traum sind. Der Radikalskeptizist erkennt keinen Beweis an, das heißt die Beweisanforderungen eines Radikalskeptizisten sind grundsätzlich unendlich: Es gibt keinen realen Beweis, für nichts.

Lassen Sie einen Stift 1000 mal fallen und beschreiben Sie die Regelmäßigkeit mit einem Naturgesetz: Der Nachweis aber, dass sich der Stift beim 1001 mal ebenso und innerhalb dieser Gesetzmäßigkeit befinden wird, können Sie im Rahmen dieser Anforderung unmöglich erbringen. Das ist ganz einfach deshalb der Fall, weil diese Anforderung keine logische Schlussfolgerung zulässt und nicht erbringbare Nachweisanforderungen stellt. Dieser Radikalskeptizismus darf nicht verwechselt werden mit der grundsätzlichen Offenheit der Wissenschaft, die grundsätzlich jede Theorie unter den Vorbehalt der Überprüfbarkeit und Widerlegbarkeit stellt. Die wissenschaftliche Offenheit verhindert jedoch nicht den Beweis.

Der Radikalskeptizismus schließt demgegenüber auch den eigenen Irrsinn ein. Und genau so verhält er sich dann auch praktisch, denn neben jedes Naturgesetz müssten unendlich viele andere Naturgesetze gestellt werden, die dem empirisch nachgewiesenen Naturgesetz widersprechen, die aber ebenso rein theoretisch denkbar sind: Die reine Denkbarkeit, die reine Logik ohne jeden Erfahrungswert, ist aber eine Frage der Mathematik und bestenfalls der Geisteswissenschaften, nicht aber der Naturwissenschaften (Realwissenschaften). Innerhalb der Realwissenschaften erfolgt eine solche Herangehensweise nicht, sie baut auf logischer Schlussfolgerung möglichst nah an der Erfahrung auf, während der Radikalskeptizismus gerade die Schlussfolgerung aus der Beobachtung jedem beliebigen Irrsinn gleichstellt. Jede Schlussfolgerung wird mit einer Forderung eines Nachweises belegt, der nicht zu erbringen ist: Eine Naturwissenschaftliche Erkenntnis kann überhaupt nur gewonnen werden, wenn Beobachtungen logisch verknüpft werden. Selbst das Nebeneinanderstellen noch so vieler einzelner Beobachtungen, d. h. empirischer Nachweise - etwa in Form eines Films - wird völlig wertlos, wenn man die einzelnen Bilder des Films nicht zu einer logischen Abfolge verbindet. Die Naturwissenschaften beruhen zum ganz überwiegenden Teil auf Schlussfolgerung aus Beobachtungen. Die reine Beobachtung ohne jede Schlussfolgerung ist im Regelfall unbrauchbar. In gewisser Weise ist die radikalskeptizistische Herangehensweise daher wissenschaftsfeindlich, während die gesunde skeptische Herangehensweise ansich geradezu eine Eigenschaft der Naturwissenschaft ist, die schließlich keine Dogmen hinnehmen soll, sondern der es stets um das Ringen um Erkenntnis geht, um ein Ergebnis möglichst nah an der Realität zu finden.

Der radikale Skeptizist aber hält sich den Weg offen zum Zweifel an allem. Der Zweifel wird zur Weltanschauung, zur Weltanschauung des Nichtwissens. Er labt sich hierbei an einer vermeintlich intellektuellen Überlegenheit. Es ist die Freude daran, aller und jeder Aussage über die Beschaffenheit der Welt widersprechen zu können. Als echter Nihilismus geht das so weit, dass im Ergebnis auch die Sicherheit aller Aussagen als gleichwertig angesehen werden. Es lautet dann, dass „ebensogut“ auch alles ganz anders sein kann.

Der Radikalskeptizismus beruht auf einem intellektuell richtigen Gedankengang, zur Bildung eines Weltbildes oder eines Wertesystems jedoch ist er unbrauchbar, bis zur Lebensunfähigkeit unbrauchbar. Er ist in seiner Reinform destruktiv bis zum lebensunfähigen Irrsin. Konsequent gelebt werden kann er daher auch nicht, wenn der Sprung vom Wolkenkratzer im Ergebnis doch gleichwertig ist gegenüber der Fortsetzung des Lebens. Es gibt in diesem Kontext auch kein „vorsichtshalber“ an den Erfahrungswert halten, weil man sich immer auch bessere Möglichkeiten für den Sprung vom Wolkenkratzer ausmalen kann - rein logisch und unter Ablehnung jeder Schlussfolgerung aus Erfahrungswerten. Die Unsicherheit wird zur Antwort, die psychische Gesundheit der Krankheit gleichwertig, das Weltbild besteht aus einem Fragezeichen und der Verneinung jeder Antwort.

Sie meinen, solche Menschen gibt es nicht, die soetwas vertreten?  Der „überzeugte Agnostiker und praktizierende Atheist
etwa schreibt am 17.11.2001 auf seiner Seite: „… Aus den genannten Argumenten gegen die Annahme von Gottheiten … folgt selbstverständlich nicht, dass man deren Existenz widerlegen könnte. Ich kenne kein Argument dagegen, dass sich der Himmel plötzlich teilt und irgendein Gott herniederfährt und mit einem Weltgericht anfängt. Wenn in meinen Augen auch nichts für diese Annahme spricht, ist sie dennoch ausreichend, um den Atheismus zu 'widerlegen'. …

Das Anzweifeln von Erkenntnis kann im Sinne des wissenschaftlichen Offenhaltens eines Erkenntnissystems für neue Erkenntnisse sinnvoll sein, der Skeptizismus geht in seiner radikalen Form jedoch weit darüber hinaus.
Der radikalskeptizistische Nihilismus würde nicht einmal sicher sagen, dass er überhaupt ein Weltbild hat. Er glaubt nichts und er glaubt niemandem, nicht einmal sich selbst, bis auf eines: Er glaubt an die Richtigkeit des Nihilismus.

Im Ergebnis ist diese Form des Nihilismus für das tägliche Leben unbrauchbar. Er liefert nichts, er nützt nichts, er ist vielmehr selbst psychische Krankheit, beruhend auf dem Misstrauen gegenüber allem, selbst der eigenen Wahrnehmung. Wer hier angelangt ist, hat zu tief geschürft, oder zu lange über seinen Büchern gesessen, wie man auch sagt. Und genau darin unterscheidet sich die Naturwissenschaft vom radikalen Skeptizismus, sie ist am Erfolg orientiert, Wissen zu schaffen; der Radikalskeptizismus dagegen ist an gar nichts ausgerichtet.

„Zu viel Gelehrsamkeit macht selbst den gesündesten kaputt!“ (Pippi Langstrumpf)

Zitate, die hier nicht fehlen sollten:
"Wir wissen, daß wir nichts wissen", schwatzen sie und blenden aus, daß sie damit behaupten etwas zu wissen - "Es gibt nichts Absolutes", schwatzen sie und blenden aus, daß sie damit etwas Absolutes behaupten - "Du kannst nicht beweisen, daß du existierst, oder, daß du bewußt bist" schwatzen sie und blenden die Tatsache aus, daß Beweis Existenz, Bewußtsein und eine komplexe Kette des Bewußtseins zur Voraussetzung hat: die Existenz von etwas, das es zu wissen gilt, ein Bewußtsein fähig es zu wissen, und Wissen, das gelernt hat zwischen solchen Konzepten wie "bewiesen" und "unbewiesen" zu unterscheiden. … Wenn er erklärt, daß ein Axiom eine Sache willkürlicher Wahl sei und er wähle es, das Axiom, daß er existiere, nicht zu akzeptieren, blendet er die Tatsache aus, daß er es durch die Äußerung dieses Satzes akzeptiert hat, daß der einzige Weg es abzulehnen wäre, den Mund zu halten und keine Theorien darzulegen und zu sterben.“ Ayan Rand, Rede des John Galt, in Der Streik.

Einschub:
Die Erfolgsorientierung der Wissenschaft ist auch innerhalb der Bevorzugung verschiedener Erklärungsmodelle ein durchgängiges Prinzip. Es gibt eine Theorie, dass der jeweils einfachere Erklärungsweg immer der bessere sei.


Tatsächlich sind derartige Erklärungsmodelle aber gleichwertig, auch wenn der eine Weg auf mehr logischen Schlussfolgerungen beruht von einer Erkenntnis zur nächsten. Niemand kann von vornherein sagen, ob die Realität einfach oder kompliziert beschaffen ist. Vielmehr wird derjenige Erklärungsweg sich in der Wissenschaft durchsetzen, der mehr Erkenntnisse liefert, sei es auf dieser neuen Erkenntnisstufe oder indem darauf aufbauend weitere Erkenntnisstufen möglich sind:
                                               

Es ist der Weg vorzuziehen, der mehr Wissen-schafft. Eine solche Herangehensweise ist mit dem Radikalskeptizismus nicht möglich, weil die Ergreifung eines Ziels mit dem Radikalskeptizismus unvereinbar ist.

Denkbar ist auch, dass der Radikalskeptizismus neben den unpraktikablen und nicht am Erfolg orientierten Beweisanforderungen teilweise auch aus einer Vermengung der verschiedenen Beweisbegriffe von Mathematik und Physik herrührt. Der mathematische Beweis ist immer in einer Art 100%ig, wie es der physikaklische Beweis niemals sein kann, es sei denn, er bewegt sich im rein Formelhaften. Es handelt sich beim mathematischen Beweis allerdings um etwas komplett anderes, es wird lediglich das selbe Wort „Beweis“ verwendet: Der Mathematische Beweis ist nur die Darlegung eines logischen Gedankenganges. Wären alle Menschen intelligent genug und vorausschauend genug, wäre diese Art von Beweis im Grunde entbehrlich. Die Darlegung logischer Gedankengänge findet auch in der Physik statt, so dass eben partiell auch der mathematische Beweis Anwendung findet, etwa wenn bestimmte Formeln verrechnet werden (Formelherleitung). Der eigentliche physikalische Beweis befasst sich allerdings damit, durch praktisches, anschauliches Durchführen eines Experiments eine Aussage zu bestätigen oder zu widerlegen. Hier findet ein Abgleich der logischen Überlegung mit der Realität statt.  

Bei Wikipedia etwa schreibt noch heute (2011) jemand zu der Frage, weshalb man die naturwissenschaftliche Methode bevorzugen solle und warum dies nicht grundsätzlich begründet werden müsse, dass eine „unreflektierte Parteinahme“ vorliege. Der Philosoph Peter Janich [Bild] habe lt. Wikipedia gesagt: In diesem „Falle ist der Naturalist wie ein Fan einer erfolgreichen Fußballmannschaft, der sich beim Siegeszug durch die Stadt anschließt“. [21]

Ja, diese Form des Naturalismus wird völlig parteiisch der wahnsinnigen, nicht-funktionalen Abart des radikalen und geistesgestörten Nihilismus vorgezogen, einfach aufgrund ihres Erfolges zur Darstellung der Realität.